Lerntmythos: was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Warum dieser Erziehungsmythos aus unseren Köpfen verschwinden sollte

Es gibt Sprichwörter, die sollte es meiner Ansicht nach nicht mehr geben, weil sie entweder inhaltlich überholt, eingrenzend, falsch oder schlichtweg ungesund sind. In meiner kleinen Trilogie liste ich meine Top 3 der unnützen Sprichwörter auf. Ich beginne mit „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr,“ denn dieser sollte meiner Überzeugung nach möglichst schnell aus unseren Köpfen verschwinden. Übrigens gibt es auch noch andere bildhafte Beschreibungen in unserer Sprache, die auf gleichen Inhalt hinauswollen, beispielsweise „Der Zug ist abgefahren“ oder „Früh übt sich, wer ein Meister werden will“? Warum dieser Mythos verschwinden sollte? Ich verrate es dir:

Wo kommt das Sprichwort her?

Schon in der Antike ging man davon aus, dass das Lernen hauptsächlich in jungen Jahren möglich ist. Aber jedem leuchtet heutzutage ein, dass das damalige Wissen über unseren Körper, inclusive unseres Gehirns, viel begrenzter war, als es heute ist. Meinen eigenen Recherchen zufolge, ist das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ auf Martin Luther (1483 – 1546) zurückzuführen. Sehr lange ging man davon aus, dass es seine Berechtigung hatte. Untermauert wurde diese Denkweise über uns durch den spanischen Mediziner und Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Santiago Ramón Cajal, der Anfang des 19. Jahrhunderts folgende These aufstellte:

„Im erwachsenen Gehirn sind die Nervenbahnen starr und unveränderlich. Alles kann sterben, aber nichts kann regenerieren.“

Ramón y Cajal, 1928

Anmerkung: Zu der Zeit, als Cajal diese These aufstellte, wurden noch gar keine Untersuchungen an lebendigen Menschen durchgeführt. Die technischen Voraussetzungen dafür gab es erst viele Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts.

Warum diese These nicht mehr zeitgemäß ist

Moderne Gehirnforschung an lebendigen Menschen entwickelte sich also erst in den späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, als Fortschritte in der Medizin, Neurowissenschaft und Technologie dies ermöglichten. Ein bedeutender Meilenstein war beispielsweise die Entdeckung der elektroenzephalographischen (EEG) Aktivität im Gehirn im Jahr 1924 durch Hans Berger. Das EEG ermöglichte erstmals die Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns und half bei der Entdeckung von Gehirnwellenmuster während verschiedener Zustände wie Schlaf und Wachheit.

In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Fortschritte in der bildgebenden Technologie gemacht. 1973 wurde die Computertomographie (CT) entwickelt, die es ermöglichte, detaillierte Querschnittsbilder des Gehirns zu erstellen. 1989 wurde die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) eingeführt, die die Aktivität des Gehirns während bestimmter Aufgaben oder Zustände sichtbar machen kann. Diese bildgebenden Verfahren revolutionierten die Gehirnforschung und eröffneten neue Möglichkeiten, das Gehirn lebendig und nichtinvasiv zu untersuchen.

Heute nutzen Forscher eine Vielzahl von Techniken, um das lebendige menschliche Gehirn zu studieren, darunter fMRT, EEG, Positronenemissionstomographie (PET) und andere neurowissenschaftliche Methoden. Diese Technologien führen stetig zu einem besseren Verständnis der Hirnfunktion und ihrer Beziehung zu Verhalten, Emotionen und kognitiven Prozessen.

Die moderne Gehirnforschung ist also ein dynamisches und ständig wachsendes Feld, das weiterhin wichtige Einblicke in die Komplexität des menschlichen Gehirns ermöglicht.

Insbesondere durch die Embodiment-Forschung, die Anfang der 80er Jahre begann, wird zunehmend deutlich, dass das Lernen nicht ausschließlich im Kopf stattfindet, sondern es eine Wechselwirkung zwischen Körper und Geist gibt.

Heutzutage weiß man, dass das Gehirn auch ein soziales Netzwerk ist und ein ständiger Auf- und Abbau der neuronaler Verschaltungen stattfindet.

Lernen und Vergessen gehört zu unserem Alltag

Unser Gehirn ist keine Warendepot, dass wir bis zu einem bestimmten Alter auffüllen können. Nicht alles, was Hans irgendwann mal gelernt gelernt, bleibt also automatisch in seinem Kopf. Wir vergessen sehr viel. Und das ist auch gut so. Wenn Inhalte für uns völlig unwichtig sind und auch nicht emotional berühren, dann werden sie schnell wieder rausgeworfen aus unserem Kopf oder sind nur ganz schwer abrufbar. Je häufiger wir uns mit einer Sache beschäftigen und je emotionaler wir das tun, also mit Körper, Seele und Geist dabei sind, desto merkWÜRDIGer ist das für unser Gehirn. Wie wunderbar ist es doch, dass das Lernen und das Vergessen zu unserem Alltag gehören und wir einen stetigen Einfluss haben auf diesen Auf- und Abbau, der sich bei uns so abspielt.

Warum dieser Erziehungsmythos aus unseren Köpfen sollte

Je älter ein Mythos ist, desto schwieriger ist es auch für uns, ihn wieder aus unseren Köpfen zu bekommen, schließlich haben ja gerade diese alten Sprichwörter einen starken Lerneffekt 😊

Aber wie eingrenzend ist doch dieser Spruch! Aber nicht nur das: Er kann Druck ausüben oder stark demotivieren.

Was bedeutet das Sprichwort für Hänschen?

  • Wie stark muss doch für Hänschen der Druck sein, in möglichst kurzer Zeit viel zu lernen.
  • Was macht Hänschen, wenn er dann auch noch Dinge lernen soll, die ihn überhaupt nicht interessieren?
  • Wie geht Hänschen damit um, wenn er glaubt, mehr Zeit zu brauchen?

Was bedeutet das Sprichwort für Hans?

  • Wie denkt Hans, wenn er sich beruflich neu orientieren möchte?
  • Wie stark muss sich Hans möglicherweise gegen seine eigene Denkweise oder die der anderen vorgehen, um sich zu trauen, einen Neuanfang zu machen?
  • Wie findet er Motivation, wenn ihm das Lernen schwerfällt?

Tipps für einen gesunden Umgang mit diesem Sprichwort

  1. Motiviert dich dieses Sprichwort, mit einer Sache nicht mehr lange zu warten, sondern sie anzupacken, dann ist es doch eine tolle Sache. Leg einfach los!
  2. Merkst du bei dir selbst, dass du diesen Spruch insgeheim als Ausrede verwendest, obwohl du eigentlich gerne etwas Neues lernen möchtest, dann rate ich dir sehr dazu, dein Denken dazu, nochmal infrage zu stellen.
  3. Bist du vielleicht gerade in einer Ausbildung, Studium oder einer beruflichen Weiterbildung und merkst, dass du an deine Grenzen kommst? Mache es dir nicht so leicht und schiebe das auf dein Alter zurück. Suche stattdessen nach den eigentlichen Gründen, warum du gerade nicht in gewünschter Weise vorankommst. Diese können sehr vielfältig sein:
    – Ist dein Anspruch an dich selbst wirklich angemessen?
    – Hast du einen gesunden Ausgleich und genug Erholungsphasen, die auch wirklich erholsam sind?
    – Denkst du in kleinen Lernetappen oder hast du eher das große Ziel vor Augen, das dich überfordert?
    – Hast du die richtige Lernstrategie für dich schon gefunden? Mit welchen Sinnen lernt du am besten und was ist nicht hilfreich für dich?
    – Wer in deinem Umfeld motiviert dich gerade? Wenn es Menschen gibt, die dich gerade weniger unterstützen oder dich sogar demotivieren, denke darüber nach, Abstand zu nehmen.
    – Führe dir dein Ziel vor Augen, am besten mit allen Sinnen: Was genau bedeutet es für dich, etwas Neues zu lernen? Was machst du damit. Inwieweit wird es dir selbst mehr Power geben?

Wann immer du dieses Sprichwort hörst oder liest, vielleicht geht du jetzt noch ein wenig sensibler und konstruktiver damit um. Und was immer du lernen möchtest, egal wie alt oder jung du gerade auch bist: Go for it!
Übrigens: Das Gleiche gilt natürlich auch für Klärchen und Klara 😊

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Gemeinsam entwickeln wir Ziele und Wege,
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