Mein Bahn-Manifest

Gesundheit und Bahn: Zwei Welten stoßen aufeinander.

Seit mehr als vier Jahren bin ich mittendrin im System Eisenbahn. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass es am Anfang für mich ein Kulturschock war.

Was mache ich als Trainerin und Coach für Gesundheitsthemen überhaupt bei der Bahn? Wie geht es mir als „Fachfremde“, wenn ich mich beispielsweise mit den Schulungsinhalten für die Lokführer-Ausbildung befasse oder wahrnehme, wie wenig Bedeutung dem Krisenmanagement vor akuten belastenden Ereignissen gegeben wird?

Könnte ich nicht an anderen Stellen viel schneller Menschen finden, die sich für Gesundheit interessieren?
Klar, ganz bestimmt könnte ich das.

Aber ich habe Gründe, warum ich bleibe: Ich möchte das System Eisenbahn in Bewegung bringen und festgefahrene Strukturen mit Leben füllen, weil ich weiß, dass bei all der Technisierung und Automatisierung der einzelne Mensch bei der Bahn oft auf der Strecke bleibt. Das geschieht zu Lasten der Gesundheit und damit auch zu Lasten der (eigenen) Sicherheit.

Als Schulleiterin der Lokfahrschule Railconzept geht es mir um viel mehr, als darum, dass unsere Teilnehmer den „Triebfahrzeugführerschein nach Anlage 6 + 7 “ in der Tasche haben. Mir geht es in gleicher Weise um die Gesundheit und um Trainings, die auch im Kopf bleiben. Doch die Bahn macht es mir dabei nicht leicht. Äußere Faktoren bringen mich immer wieder an Grenzen.


Mit „Bahn“ meine ich übrigens nicht nur die Deutsche Bahn. In Deutschland gibt es mehr als 400 öffentliche und mehr als 100 nichtöffentliche Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Personenverkehr und den Güterverkehr. Eine Übersicht gibt es hier.


Mein Bahn-Manifest beschreibt meine Haltung zu der schon seit zu langer Zeit meiner Überzeugung nach „vertechnisierten“ Branche. Streiks und Lokführermangel sind kein Zufall. Sie sind die Folge einer Bahnpolitik und Bahnkultur, welche die menschlichen Ressourcen zu wenig im Blick hat. Mit meinem Bahn-Manifest liste ich die Themen auf, die meiner Überzeugung nach eine wichtige Bedeutung bekommen müssen, wenn wir auch morgen noch Lokführer haben wollen, die einen guten Job machen (können):

Ich bin der festen Bahn-Überzeugung, dass….

  1. Regelwerke, Vorschriften und Weisungen, welche die Basis eines sicheren Ablaufs sind, dringend einer „gehirngerechten“ Überarbeitung unterzogen werden müssen. Die oft verschachtelte Sprache, die Komplexität der Inhalte und insbesondere auch die nicht enden wollende Menge, mag vielleicht Regelbuchautoren vertraut sein. Schließlich haben diese tagtäglich mit ihnen zu tun. Für den Lokführer, der diese aber auch praktisch umsetzen muss, sind diese schlichtweg nicht gemacht.
  2. mentale Gesundheit bereits in der Ausbildungszeit eine wichtige Rolle spielt und damit Themen rund um die Gesundheit Selbstverständlichkeit werden sollten. Eine „hinter vorgehaltener Hand-Kultur“, die zwischenmenschliche Themen und mentale Irritationen tabuisiert, schadet nicht nur der Sicherheit, sondern auch der Gesundheit. Ein ehrliches Interesse an Gesundheitsthemen hingegen stärkt langfristig das System.
  3. ….Pausen im Arbeitsalltag nicht nur auf dem Papier dokumentiert werden sollten. Pausen sollten tatsächlich Phasen der Regeneration sein, um die Aufmerksamkeit wahren zu können.
  4. Ernährung im Arbeitsalltag eines Lokführers eine wichtige Rolle spielen muss. Insbesondere wer im Schichtdienst tagelang unterwegs ist, sollte die Möglichkeit haben, sich gesund zu ernähren.
  5. … das Sicherheitsmanagmentsystem, das von der Europäischen Kommission „gefordert“ wird, eine wirkliche Chance für die Branche sein kann. Voraussetzung dafür ist aber, dass dieses nicht nur zu einer Ansammlung theoretischer Instrumentarien entgleist oder in sinnloser Software versinkt, sondern tatsächlich als Grundlage betrachtet wird, eine Sicherheitskultur zu schaffen.
  6. … eine unabhängige Prüfungskommission die aktuell sehr unterschiedlichen Prüfungsordnungen ablösen sollte, damit sich eine Einheitlichkeit und eine Qualität entwickeln kann, die an Transparenz gewinnt und zugleich den angehenden Triebfahrzeugführern eine klare Richtung vorgibt.
  7. Präsenzschulungen erhalten bleiben müssen. Reine Online-Schulungen können nicht das zwischenmenschliche Potenzial der Präsenzschulen ersetzen. Daher müssen praktische Übungen, Praxistage und regelmäßige Simulatorschulungen zu jeder Lokführerausbildung gehören.
  8. Regelmäßigkeiten im Arbeitsalltag trotz des Schichtsystems für die Regeneration essentiell sind und einen großen Einfluss auf die mentalen Fähigkeiten des Lokführers haben.
  9. Krisenmanagement ein unterschätztes und gleichzeitig wichtiges Thema im Ausbildungs- und Berufsalltag des Lokführers ist. Ein Training zur Vorbereitung auf akute Belastungen durch Personenunfälle oder Schienensuizid muss Standard werden und heraus aus dem Tabu-Bereich.
  10. Kommunikation unterschiedlicher Akteure im Eisenbahnsystem das Verständnis fördern kann. Damit kann eine Vielzahl der „hausgemachten Probleme“ vermieden werden. Ein ehrliches Interesse an den Aufgabenbereichen anderer kann meiner Überzeugung nach viel verbessern.
  11. Lokführermangel Geschichte werden kann, wenn die Begeisterung, die dieser Beruf mal ausgelöst hat, „wiederentdeckt“ wird und der Lokführer bei der Gestaltung der Veränderungsprozesse einbezogen wird.
  12. …viel mehr Menschen Mut brauchen, dieses System wirklich zu verändern.

Ich hätte schon viele Gründe gehabt, die Segel zu streichen bzw. auszusteigen.

Warum ich bleibe?
In vielen Eisenverkehrsunternehmen und auch bei uns in der Schule treffe ich auf viele „Eisenbahner“, die für die Bahn brennen und auch die Veränderung suchen. Ich treffe auf Menschen, die mit Begeisterung von Eisenbahnzukunft gestalten wollen und Lokführer werden wollen. Es gibt eine Vielzahl struktureller und ideeler Möglichkeiten, die Attraktivität und Sicherheit der Bahn stärker zum machen. Neben den technischen Ressourcen braucht es eine Stärkung der menschlichen Ressourcen. Dann werden sowohl Streiks als auch Lokführermangel der Vergangenheit angehören. Dafür ist noch einiges zu tun.


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13 Kommentare

  1. Liebe Marion, ich bin nun seit sechs Jahren auf die Bahn angewiesen, um noch mobil zu bleiben. Da interessiert einen zunächst nur, dass der Fahrplan funktioniert und die gebuchten Leistungen erfolgen. Was dahinter steckt – darüber macht frau sich erst Gedanken, wenn es knirscht & knarscht im Gebälk bzw. im Bahnverkehr. Dass der Lokführeralltag nicht gerade ohne ist, ist noch euphemistisch ausgedrückt ( entsprechende Erfahrungen leider im fam. Rahmen ). Dass da gute Begleitung unerlässlich ist, hab ich mir schon gedacht. Jetzt weiß ich, dass es das gibt und wie das umgesetzt wird durch Menschen wie dich.
    Liebe Grüße!
    Astrid

  2. Hallo Marion,
    was für ein spannender Beruf. Und was für eine lustige Schule. Habe mir da vorher noch nie Gedanken drüber gemacht, aber eigentlich ja logisch, dass es auch Schulen für Lokführer:innen geben muss.
    Ich fahre grundsätzlich echt gerne Bahn und wir hatten sogar mal eine „Ohne-Auto-Phase“, aber seit wir mit Sohne 02 als behinderte Familie unterwegs sind, ist die alleinige Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr möglich. Aber wenn wir mal per Bahn unterwegs sind, feiern das immer alle in der Familie.
    Gleichzeitig sind die Probleme durch fehlendes Personal, schlechte Infrastruktur, Überlastung etc. aber auch überall mit Händen zu greifen. Wie gut, dass du da verändernd unterwegs bist.
    Die Bahn ist ein großer Teil unserer Fortbewegungszukunft in Zeiten des Klimawandels … da ist jede Investition in System und die Menschen darin richtig und wichtig.
    Viel Erfolg damit – Heiko

    • Hallo Heiko, „verändernd unterwegs“ finde ich eine klasse Beschreibung. Du sprichst einen wichtigen Aspekt an: Die Bahn wird DAS Fortbewegungsmittel der Zukunft, für Menschen und Güter. Auch das motiviert mich dranzubleiben. Toll, dass ihr als „behinderte Familie“ auch hin und wieder das Bahnfahren nutzt und sogar feiert. Das ist noch ein Grund mehr, die Abläufe besser zu machen.

  3. Liebe Marion,

    durch Judith’s TCS Rad bin ich auf deinem Blogartikel gelandet – wie spannend. Über eine Lokfahrschule habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht. Direkt ins Auge gesprungen ist mir „Traumaprävention für Lokführer“, aber auch alle anderen Punkte, die du aufgelistet hast, sind elementar. Seelische Gesundheit im Beruf wird zwar zunehmend enttabuisiert, aber da ist noch ganz viel Luft nach oben.
    Viel Erfolg weiterhin bei deiner Arbeit.
    Herzliche Grüße Stefanie

    • Liebe Stefanie, Traumaprävention ist für mich das Kernthema für die Gesundheit der Lokführer. Wenn dem mehr Stellenwert gegeben wird, werden automatisch viele Gesundheitsthemen in den Alltag integriert und seelische Gesundheit mit viel mehr Selbstverständlichkeit Bedeutung bekommen. Schön, dass du hier auf meiner Seite „gelandet“ bist und danke für deine Rückmeldung.

  4. Liebe Marion,
    ich finde es großartig, dass Du Dich für die Zukunft der Bahn und der Lokführer einsetzt und dabei den Aspekt der Gesundheit vor Augen hast!
    Das Thema Gesundheit und besonders die mentale Gesundheit sind Hauptbestandteil meiner Arbeit, und dabei ist ein wichtiger von Dir genannter Punkt das Pausenmachen. Lokführer haben einen so verantwortungsvollen Beruf, da finde ich es wunderbar und als Bahnfahrerin beruhigend, wenn die erfolgreiche Regeneration schon Bestandteil in der Ausbildung ist.
    Und wo Du auch meine volle Unterstützung hast: Präsenz-Schulungen müssen erhalten bleiben, weil dort einfach eine andere Art der Begegnung und des Lernens stattfindet.

    Liebe Grüße
    Susanne

  5. Liebe Marion, ich liebe Bahnfahren und bin sehr viel auf Schienen. Deshalb hat mich dein Artikel gleich interessiert. ich finde es spannend, dass du ein Licht auf das Lokführerleben wirfst, und die verschiedenen Facetten sichtbar machst. Deine Forderungen leuchten sehr ein und ich wünsch dir viel Erfolg. Andrea

    • Liebe Andrea, ich danke dir sehr. Schön, dass du als „Bahnfahrerin“ auch Interesse an der anderen Perspektive hast. Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal einen Lokführer bei einer Fahrt begleitet habe, war ich sofort hin und weg: Was für ein anderer Blick auf die Welt, was für ein interessanter Beruf!

    • Liebe Marion,
      was für ein toller Blogartikel. Ich Reise eigentlich sehr gern mit der Bahn, wenn ich nicht umsteigen muss. Besonders gefällt mir, dass Du ansprichst, was aus Deiner Sicht zu verbessern ist. Gleichzeitig auch an den Veränderungen aktiv mitwirken möchtest. Viel Erfolg bei dem Veränderungsmarathon Liane.

      • Herzlichen Dank, liebe Liane! Ich versichere dir, dass ich nach Abkürzungen bei diesem „Veränderungsmarathon“ Ausschau halte und natürlich auch, dass ich dabei wertvolle Pausen mache 😉

  6. Liebe Marion
    Was für ein spannender Einblick in deine Arbeit. Ich finde, du hast sehr wichtige Themen angesprochen, die nicht nur im Lokführeralltag Priorität haben sollten (Nr. 2-4)! 🙂 Ich wünsche dir viel Durchhaltevermögen und hoffe, dass du ein Umdenken in diese Branche bringen kannst.

    Liebe Grüsse
    Seraina

    • Vielen Dank, liebe Seraina. Ja, diese Thema sind allgemein entscheidende Faktoren für Gesundheit und innere Stabilität. Das Spannende liegt für mich darin, die Umsetzung voranzubringen und menschliche Ressourcen in Bereiche zu bringen, in denen man ihre Bedeutung gar nicht in der Weise vermutet.

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Hallo, ich bin Marion Abend,
Trainerin und Coach für
Empowerment.
Gemeinsam entwickeln wir Ziele und Wege,
die für eine gesunde Weiterentwicklung wichtig sind.

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